LesetipsHatte eigentlich für 2006 den guten Vorsatz, hier kurz zu allen Büchern was zu sagen, die ich lese, um auf die oft gestellte Frage: "Hast du in letzter Zeit was Interessantes gelesen?" eine Antwort statt einer vagen Ahnung parat zu haben. Das klappt allerdings beim besten Willen nicht, dafür lese ich immer noch zu viel. Außerdem habe ich festgestellt, daß Nick Hornby das auch schon macht.Aber ich gelobe, daß ich versuchen will, zumindest diejenigen Werke, die mir besonders große Freude gemacht haben, etwas kontinuierlicher zu würdigen.
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Susanna Clarke: Jonathan Strange & Mr. Norell
Ich persönlich hab's ja eigentlich nicht so mit Zauberern. Aber die Geschichte ist schön geschrieben und hat einen unwiderstehlichen Anfang. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gibt es nämlich in England offenbar keine Zauberer mehr. Dennoch gibt es jede Menge Zauberergilden, in denen sich die Herren der Gesellschaft versammeln, die sich als "theoretische Zauberer" bezeichnen. Und auf die Frage, warum sie denn nicht in der Praxis zaubern, haben sie eine unwiderstehliche Antwort parat:
Die Frage ist falsch, denn "sie setzt voraus, dass Zauberer zum Zaubern verpflichtet sind - was natürlich Unsinn ist. Ich nehme an, Sie sind nicht der Ansicht, dass es Aufgabe der Botaniker ist, neue Blumen zu erschaffen. Oder dass die Arbeit von Astronomen darin besteht, die Sterne neu anzuordnen. Zauberer ... studieren die Zauberei, die vor langer Zeit betrieben wurde. Warum sollte irgendjemand mehr erwarten?"
So weit so gut. Es stellt sich allerdings bald heraus, daß es in England auch noch einen praktischen Zauberer gibt, nämlich Mr. Norell. Der läßt sich auch überreden, der Gilde etwas vorzuzaubern, allerdings unter der Auflage, daß sie sich, sobald die Mitglieder von seiner Kunst überzeugt sind, auflöst und alle künftig ihr theoretisches Geschwafel unterlassen. Dieses Ansinnen macht Mr. Norell zunächst recht sympathisch. Bald stellt sich jedoch heraus, daß er gar kein angenehmer Zeitgenosse ist. Sein Schüler und späterer Widersacher Mr. Strange hat allerdings auch so seine Macken und spätestens als auch noch dunkle Mächte in Gestalt von Elfen ins Spiel kommen, wird das Ganze recht düster. Jane Austen meets Harry Potter. Aber insgesamt ein richtig schöner Wälzer (1000 Seiten) mit dem zusätzlichen Bonus brilliant erfundener Fußnoten.
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Philip Roth: Der menschliche Makel
Im Jahr der Clinton/Levinsky-Enthüllungen wird ein bis dahin unbescholtener College-Professor wegen angeblich rassistischer Äußerungen komplett aus der Bahn geworfen. Schlicht DAS Buch zu political correctness und amerikanischer Scheinheiligkeit.
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Pascal Mercier: Perlmanns Schweigen
Der angesehene Sprachwissenschaftler Philipp Perlmann trifft sich mit einer Reihe ebenso arrivierter Kollegen zu einem vierwöchigen Forschungsaufenthalt, bei dem jeder seine neuesten Erkenntnisse präsentieren soll. Leider fällt Perlmann schon seit geraumer Zeit nichts mehr ein, und sein Interesse am Fach ist ebenfalls geschwunden. In seinem Bemühen, sich nicht zu blamieren, manövriert er sich in eine immer ausweglosere Sitauation... Man sollte sich keinesfalls von den über 600 Seiten abschrecken lassen, denn das Buch liest sich flüssig. Allenfalls muß man es hier und da beiseite legen, weil man das innere Dilemma des Protagonisten nicht mehr aushält.
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Tonino Benacquista: Das Seifenopern-Quartett
Dem Sender drohen drastische Geldstrafen, weil er den Anteil an Eigenproduktionen nicht erfüllt. Deshalb heuert der Programmdirektor vier arbeitslose Drehbuchautoren an, um eine Seifenoper zu schaffen. Da das Endprodukt um vier Uhr nachts ausgestrahlt wird, lautet die Vorgabe: "Egal was - Hauptsache billig."
Der Donau Kurier meint: "Das Seifenopern-Quartett ist eine traumhaft-witzige Spinnerei über die TV-Generation und ihre Krankheiten, über gute und schlechte Drehbücher, über das Leben an sich und seine wunderbaren Verrücktheiten."
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Joe McGinniss: Das Wunder von Castel di Sangro
Ganz Italien wird von millionenschweren, brillianten Fußballspielern beherrscht. Ganz Italien? Nein, ein kleines Dorf in den Abruzzen leistet tapferen Widerstand. Zur Überraschung aller sind die lokalen Kicker in die zweite Liga aufgestiegen (wirklich wahr, in der Saison 96/97!). Der amerikanische (!) Autor und Fußballnarr zieht für ein Jahr nach Castel die Sangro und schildert die Ereignisse. Der ganz normale Wahnsinn auf Italienisch und mit Nick Hornbys 'Fever Pitch' eines der besten Fußballbücher überhaupt.
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<> Tony Hawks: Mit dem Kühlschrank durch Irland
Ja, ja, was man nicht alles im volltrunkenen Zustand für Wetten eingeht, der Titel verrät es schon: Der Verfasser hat sich verpflichtet, einen Monat lang mit einem Kühlschrank als Reisegepäck quer durch Irland zu trampen. Wie nicht anders zu erwarten, finden die Iren diese Idee nicht übermäßig abwegig. Und wie ebenfalls nicht anders zu erwarten, erhält der Autor während dieses Monats ausgiebig Gelegenheit, seine Trinkfestigkeit zu trainieren. Eines der komischsten Reisetagebücher aller Zeiten.
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Ronald Reng: Der Traumhüter
Erzählt die wahre Geschichte des Torwarts Lars Leese, der, ohne daß er weiß wie ihm geschieht, dritter Torwart bei Leverkusen wird und schließlich für zwei Jahre vom englischen Erstligisten Barnsley verpflichtet wird, wonach die Karriere sang- und klanglos wieder endet. Hier wird eindrucksvoll und nicht ohne Witz klar gemacht, wie es denen im Profigeschäft ergeht, die nicht Kahn, Elber oder Scholl heißen.
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Alexander Osang: die nachrichten
"Er sah gut aus, war pünktlich und versprach sich nie. Das waren die wichtigsten Eigenschaften eines Nachrichtenvorlesers. Er erfüllte sie." Jan Landers hat es anscheinend geschafft: Er ist Tagesschau-Sprecher. Unwohl fühlt er sich dennoch, denn Hamburgs Neureiche stellen für den in Ostdeutschland Aufgewachsenen eine fremde Kultur dar, in der er sich nicht recht zu bewegen weiß. Sein neues Leben droht in die Brüche zu gehen, als Gerüchte laut werden, er habe als IM für die Stasi gearbeitet. Er begibt sich zur Recherche in die alte Heimat, und bekommt außerdem hautnah zu spüren, was es heißt, die Aufmerksamkeit der Medien, allen voran des 'Spiegel' zu erregen.
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John Irving: The Fourth Hand
Zumindest für diejenigen, die "Garp" und das "Hotel New Hampshire" liebten, war ja schon Irvings letzter Roman (Witwe für ein Jahr) enttäuschend. Aber das neueste Werk verdient die Bezeichnung 'Roman' eigentlich kaum noch. Eher handelt es sich um Skizzen. Sämtliche Haupt- und Nebenakteure werden pflichtgemäß mit den üblichen Schrullen ausgestattet, bleiben aber holzschnittartig und haben weder ein erwähnenswertes Innenleben, noch viel miteinander zu tun. Reine Zeitverschwendung!
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